Zoom-Tagung: Das schlechte Bilderbuch

04.07.2024

Zu einer seltenen, aber notwendigen Wertungspraxis in der Kinderliteraturkritik

Termin: 25. bis 27.07.2024
Ort: Zoom-Tagung

In der Praxis der institutionalisierten Kinderliteraturkritik fällt zweierlei besonders auf: Zum einen richtet sich die Besprechung der Texte nicht vornehmlich an die kindliche Leser*innenschaft (als intendierte Adressat*innengruppe), sondern an die erwachsenen Gate Keeper, zum anderen – und das soll als anzunehmende Folge dieses Umstands im Zentrum stehen – wird die Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich auf die Betrachtung wertvoller bzw. als gut befundener Literatur gerichtet, was Positivbesprechungen bzw. Empfehlungen im Sinne positiver Sanktionierung (vgl. Ewers 2012: 17) zur Folge hat.
Im Wesentlichen lässt sich im Zusammenhang mit der zweiten Feststellung zwischen zwei Grundtypen in der KJL-Kritik unterscheiden und zwar zwischen der pädagogisch-didaktischen und der literarästhetisch argumentierenden Ausrichtung. Die pädagogisch-didaktische Position wünscht sich „KJL als ein möglichst qualitätsvolles Textangebot für junge Lesende [...], oftmals v. a. für den unterrichtlichen Zusammenhang, aber auch als sinnvolle Freizeitlektüre.“ (Roeder 2015: 277). Insofern wird KJL ein dezidierter Nutzen zugesprochen, der in der – mal mehr, mal weniger moralisch ausgerichteten – Enkulturation des heranwachsenden Individuums besteht (vgl. Raithel/Dollinger/Hörmann 2009: 60). Eine solche ‚Gebrauchswert-Kritik‘ wird schon lange von Seiten der KJL-Forschung beanstandet, wie z.B. von Klaus Doderer, wenn er 1981 feststellt, dass Kinder- und Jugendbuchkritik „fast ausschließlich Inhaltsbeschreibungen mit anschließender Bemerkung über Nutzen und Effekt des Werkes“ (Doderer 1981: 13) beinhalte und sich darin von der sonstigen Literaturkritik wesentlich unterscheide.
Demgegenüber bemüht sich die literarästhetische KJL-Kritik zwar prinzipiell um das literarische Werk in seiner ästhetischen Gestaltung, setzt diesen Anspruch aber oft unzureichend um, wie z.B. Judith Witzel in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 2005 herausstellt, in der sie konstatiert, dass die Rezensent*innen sich zwar oberflächlich betrachtet an analytischen, wertungsaffinen Begrifflichkeiten orientieren, dabei jedoch trotzdem zu vage gehaltenen, floskelhaften Wertungen mit geringer Aussagekraft gelangen. Wenn ein Kinder- bzw. Jugendbuch als Ergebnis „erzählerische[n] Können[s] [in] Höchstform“ oder „sprachliche[r] Kunstfertigkeit“ (Witzel 2005: 70) bezeichnet wird, aber unklar bleibt, wie diese Eigenschaften zu verstehen sind und worin genau sie sich im betrachteten Gegenstand äußern, treten dogmatische Setzungen an die Stelle argumentativ nachvollziehbarer Kritik.
Auch auf das Bilderbuch trifft die oben grob skizzierte Wertungspraxis immer wieder zu. Das (zumeist) Bild- und Schrifttext kombinierende Medium, in dem die beiden eingesetzten Zeichensysteme in einem variierenden Wechselverhältnis zueinander stehen können, macht es erforderlich, den Blick zwischen Bild- und Schrifttext hin- und herwandern zu lassen. So kann sein kompositorisches Grundprinzip immer wieder neue Herausforderungen an die Lesenden stellen, die vornehmlich die Reihenfolge der zu rezipierenden Elemente und ihre Bedeutungserschließung in der Zusammenschau betreffen (Staiger 2022: 4–5). Die Realisierungsmöglichkeiten einzelner Bilderbücher sind enorm vielfältig: Sie speisen sich aus Themen, Stoffen, Motiven, Gattungen, Komplexitätsgraden und sprachlichen wie auch visuellen Gestaltungsmodi, die auch aus anderen Kunstformen bekannt sind. Dennoch herrscht in der öffentlichen (nicht fachwissenschaftlichen) Diskussion trotz weiterhin zunehmender Auffächerung der Themen, Adressierungen und Gestaltungsformen die Ansicht vor, dass sich das Bilderbuch vornehmlich an Kleinkinder und Leseanfänger*innen richte (Staiger 2022: 5).
Die Diskrepanzen, die sich entlang öffentlicher Wahrnehmung, eventueller moralischer Implikation, jeweiliger Kindheitsvorstellung und gegenstandsbezogener Vielfältigkeit eröffnen, lassen das Bilderbuch als besonders geeigneten Vertreter erscheinen, die Wertungspraxis zum Kinderbuch um argumentationsstarke, demnach gut begründete, Kritiken zu erweitern, die es ermöglichen, Spezifika transparenter und vielfältiger Kinderbuchkritik herauszuarbeiten. Dabei kommt der Fokussierung auf schlechte Bilderbücher eine ganz besondere Rolle zu: Nicht allein der Umstand, dass eine negative Kinderbuchkritik nahezu unsichtbar ist, sondern mehr noch die Notwendigkeit, der sich der bzw. die Kritiker*in ausgesetzt sieht, besonders nachvollziehbar und verständlich argumentieren zu müssen, um nicht polemisch bzw. herabwürdigend zu agieren, lässt das aus einer jeweils zu erörternden Perspektive als schlecht befundene Bilderbuch zu einem besonders reizvollen und vielversprechenden Gegenstand werden.

Programm

Eine Anmeldung zur Tagung ist bis spätestens 22.07.2024 bei Ulrike Preußer (ulrike.preusser@uni-bielefeld.de) möglich. Der Zoom-Link zur Teilnahme wird Ihnen rechtzeitig zugeschickt. 

 

(Quelle: H-Net)