Von den Semantiken der Waldeinsamkeit bis hin zur Dystopie ruft der Wald als literarischer Handlungsort unterschiedliche Bedeutungen auf: Er kann Rückzugsmöglichkeiten und Schutz bieten, aber auch ein bedrohlicher und gefährlicher Ort sein. Diese Besetzungen haben literaturhistorisch lange Traditionslinien, werden in diversen Genres auserzählt und verbinden sich oftmals auch mit spezifischen Vorstellungen von Kindheit. In Ludwig Tiecks Die Elfen (1812) warnt die Mutter die Kinder vor dem Aufenthalt im Wald: „Seid nur vorsichtig, Kinder, sprach die Mutter, lauft nicht zu weit vom Hause, oder in den Wald hinein“ (Tieck, 306). Im weiteren Verlauf enthüllt der Text, dass der Wald mit einem Geheimnis verbunden ist. In E.T.A. Hoffmanns Erzählung Das fremde Kind (1819) ist der Wald hingegen ein symbolisch aufgeladener Rückzugs- und Spielort, der allein von den Kindern betreten wird. Aber auch hier deuten sich Ambivalenzen an, und am Ende wird das Ende der Kindheit durch den Verlust des Waldraumes markiert. Genau dieser Verlust der Kindheit wird wiederum von Theodor Storm in seinem Gedicht Garten-Spuk (1858) beklagt: Der Wald ist bei Storm Ort einer vergangenen Kindheit, deren Rückgewinnung unmöglich ist. Lukas Jüliger greift in dem Comic Unfollow (2020) die enge Verbundenheit zwischen Kindheit und Natur wieder auf, stellt diese aber in einen Kontext der Kultur der Digitalität (Stalder 2016), wenn die Hauptfigur als junger Erwachsener zum Social-Media-Star wird, der das Leben im Einklang mit der Natur bewirbt.
Im Kontext von Natur, Kultur, Kunst und Literatur ist der Wald als Symbol, Motiv und Handlungsort fest verankert (vgl. Zechner 2016). Die nächste Ausgabe des Jahrbuchs der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung widmet sich daher den Formen und Funktionen von Wäldern und deren diachronen Entwicklungslinien. Viele Walddarstellungen sind bis heute geprägt von mythischen Vorstellungen, die spätestens in der deutschen Romantik unter dem Schlagwort der Waldeinsamkeit zu einem zentralen Thema der Epoche avancieren. Der Wald ist dabei in vielen literarischen und künstlerischen Werken als Schnittstelle zu anderen Welten, als Durchgangstor oder als Ort der Selbstfindung und Bewährung markiert. Auch in aktuellen kinder- und jugendliterarischen Romanen und Bilderbüchern ist der Topos des Waldes prominent vertreten, vor allem in Texten die die Prozesse des Klimawandels verhandeln. Hier erscheint er als Raum, der massiv bedroht ist (Greta und die Großen, 2019; Am Ende des Regenwaldes, 2019) oder auf das Engste mit Fragen nach (kultureller) Identität verzahnt ist (City of Trees, 2024).
Die Forschungslage zum Wald, etwa als Motiv oder Symbol, ist breit aufgestellt. Für die Jahrbuchausgabe können verschiedene theoretische Perspektiven fruchtbar gemacht werden, wie etwa des Ecocriticism oder der Raumtheorie. Intersektionale Zugriffsweisen, die etwa auch das Verhältnis von Naturraum, Gender und Race in den Blick nehmen, sind dabei ebenso erwünscht wie inter- und transmediale Perspektiven, die die Darstellung von Wäldern in verschiedenen Medien untersuchen. Insbesondere Fallanalysen, die sich mit der Verbindung von Kindheitsvorstellungen und Walddarstellungen befassen, sind willkommen.
Die Beiträge sollten die Breite und Vielfalt des Themas sowohl aus theoretischer als auch aus gegenstandsorientierter Perspektive in den unterschiedlichen medialen Formen (Romane, Kurzprosa, Lyrik, Theaterstücke, Bilderbücher, Sachbücher, Comics, Graphic Novels, Hörmedien, Filme, TV-Serien, Computerspiele) aufgreifen.
Mögliche Themen, Fragen und Schwerpunkte, jeweils mit Bezug auf Kinder- und Jugendliteratur bzw. -medien, wären:
- Wald als Raum
- Kindheitskonzeptionen und -konstrukte
- Verfahren von Stimmungserzeugung
- Spezifika unterschiedlicher Medien: der Wald in Bild, Ton und Materialität
- Diachrone Perspektiven, beispielsweise mit Blick auf die Romantik und weitere Fortschreibungen
- Ecocriticism/ ökologische Literaturwissenschaft und Wald
- Intersektionalität und Wald
Über das Schwerpunktthema hinaus sind zudem offene Beiträge zu kinder- und jugendliterarischen bzw. -medialen Fragestellungen aus historischer wie theoretischer Perspektive erwünscht; auch dazu bitten wir um entsprechende Vorschläge.
Formalia:
Das Redaktionsteam hofft auf große Resonanz und bittet bei Interesse um die Zusendung von entsprechenden Angeboten für themenbezogene bzw. offene Beiträge in Form eines Exposés (von nicht mehr als 2.000 Zeichen mit Leerzeichen) bis zum 15.06.2025. Die Exposés sollten außer einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung Angaben über die Fragestellung enthalten, den Bezug zu theoretischen Positionen herstellen sowie Literatur nennen, auf die sich der Beitrag stützt. Benachrichtigungen über die Annahme des Vorschlags und die Einladung zur Einreichung eines Beitrags werden zusammen mit dem Style Sheet bis zum 31.07.2025 verschickt.
Die Beiträge selbst sollten einen Umfang von 40.000 Zeichen (inkl. deutschem wie englischem Abstract, Fußnoten, Literaturverzeichnis und Kurzvita) nicht überschreiten und den Herausgeber:innen spätestens bis zum 01.02.2026 als Word-Dokument vorliegen.
Bitte senden Sie Ihr Exposé an: <joomla-hidden-mail is-link="1" is-email="1" first="Z2tqZi1yZWRha3Rpb24=" last="dW5pLWtvZWxuLmRl" text="Z2tqZi1yZWRha3Rpb25AdW5pLWtvZWxuLmRl" base="">gkjf-redaktion@uni-koeln.de</joomla-hidden-mail>
Das Jahrbuch der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung| GKJF 2026 wird im Dezember 2026 auf der Seite https://ojs.ub.uni-frankfurt.de/gkjf veröffentlicht.
Jahrbuch der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung | GKJF
Herausgeber:innen:
Prof. Julia Benner, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Thomas Boyken, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Prof. Gabriele von Glasenapp, Universität zu Köln
Prof. Lena Hoffmann, Universität Bielefeld
Jun.-Prof. Anna Stemmann, Universität Leipzig
Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Kontakt: Jun.-Prof. Dr. Anna Stemmann (Universität Leipzig) <joomla-hidden-mail is-link="1" is-email="1" first="YW5uYS5zdGVtbWFubg==" last="dW5pLWxlaXB6aWcuZGU=" text="YW5uYS5zdGVtbWFubkB1bmktbGVpcHppZy5kZQ==" base="">anna.stemmann@uni-leipzig.de</joomla-hidden-mail>
Weitere Informationen finden Sie hier.
(Quelle: kinderundjugendmedien.de)